Liebe Wohlener:innen
Mein Vater ist über 90 und hat als Kind das faschistische Regime in einem Dorf bei Mailand miterlebt. Seine Erzählungen sind immer sehr emotional. Die Solidarität unter den Leuten hat ihn stark geprägt. Sein Vater, also mein Grossvater, war Teil einer antifaschistischen Organisation. Er hat viel riskiert, um für Freiheit und Demokratie zu kämpfen.
Wir vergessen heute oft, wie viel unsere Demokratie wert ist. Wir dürfen sagen, was wir denken, ohne Angst zu haben. Wir dürfen und müssen mitreden und mitentscheiden. Zu oft machen wir das aber nicht. Manchmal haben wir den Eindruck, dass «die Politik» macht, was sie will, und gehen nicht wählen und abstimmen. Politische Entscheidungen sind aber nicht naturgegeben, denn sie beruhen auf demokratischen Prozessen und Diskussionen. Oft sind die Abstimmungsvorlagen sehr technisch und komplex. Trotzdem sollten wir unsere Rechte und Pflichten wahrnehmen und mitentscheiden! Insbesondere wir Frauen mussten für unsere Rechte lange kämpfen. Eine Beteiligung von 50 % bei Abstimmungen bedeutet, dass nur die Hälfte der stimmberechtigten Bevölkerung über die ganze Bevölkerung unseres Landes entscheidet. Etwas wenig. Die Demokratie funktioniert besser, wenn möglichst viele mitentscheiden. Ein Bekannter von mir hat einen Spruch dazu erfunden: «Demokratie ist wie Sirup: Zu stark verdünnt schmeckt sie nach nichts».
Wir sollten versuchen, die Politik für alle – auch für junge Menschen – greifbarer zu machen. Vielleicht mit einer «einfacheren» Sprache in den Erläuterungen zu Abstimmungsthemen. Vielleicht braucht es auch neue Wege, v.a. auf Gemeindeebene, wie z.B. Foren, wo auch die (noch) nicht Stimmberechtigten sich äussern und Gehör verschaffen können.
Maria-Pia Gennaio Franscini, Geografin