Liebe Wohlener:innen
In einer Zeit, in der soziale Ungleichheiten wachsen und viele Menschen von Stress, Erwerbsdruck und Vereinzelung betroffen sind, gewinnt solidarisches Handeln im Alltag zunehmend an Bedeutung.
Solidarität beginnt oft direkt vor der eigenen Haustüre. Wenn Nachbar:innen sich gegenseitig Einkäufe mitbringen, sich bei der Kinderbetreuung unterstützen oder gemeinsam Tauschbörsen organisieren, entsteht eine Kultur des Miteinanders, die über private Freundschaften hinausreicht.
Doch damit Menschen überhaupt Zeit und Kraft haben, aufeinander zuzugehen, braucht es ein Leben, das nicht ständig am Limit läuft. Wenn ich weiss, dass ich keine Überstunden machen muss, nur um die Miete bezahlen zu können, nicht dauernd von Existenzängsten geplagt werde und nicht jedes Mal, wenn mein Kind krank wird, fürchten muss, jetzt dann entlassen zu werden, nur dann habe ich die Kapazitäten, mich auch für andere einzusetzen.
Linke Politik setzt auf eine Gesellschaft, in der niemand allein gelassen wird – auch nicht in der unmittelbaren Nachbarschaft. Weil Solidarität nicht dem Zufall überlassen werden darf, sondern politisch gewollt und gefördert werden muss. Sie schafft Strukturen, die Teilhabe ermöglichen und Nachbarschaft lebendig machen, sei es durch genossenschaftlichen Wohnungsbau, Gemeinschaftsräume oder Fördergelder für lokale Initiativen.
Ausserdem stärkt eine solidarische Nachbarschaft nicht nur das soziale Netz, sondern auch die Demokratie – denn nur wer sich eingebunden fühlt und die Ressourcen hat, sich zu beteiligen, ist auch politisch aktiv.
Michelle Hufschmid-Lim, Historikerin